Ich habe lange gedacht, ich müsse meine Vergangenheit hintermir lassen. Dass der Schmerz, das Nicht-Gesehene, das Ungerechte irgendwannverblassen werden. Aber das hat nicht funktioniert. Nicht wirklich. Nichtdauerhaft. Nicht bei mir. Denn mir ist bewusst geworden, dass ich ganzsein will. Und dazu gehört auch mein inneres verletztes und verängstigtes Kind.
Darum gehe ich zurück. Immer wieder. Aber ich gehe nichtallein: Ich gehe mit der Frau und Mutter, die ich heute bin, zurück zu dem Kind,das nicht sein durfte, weil es keinen Raum gab für seine Lebendigkeit. Ichnehme es an der Hand und flüstere ihm zu:
Jetzt kannst du deine Magie wirken lassen. Jetzt können wirzusammen die Welt gestalten. Jetzt können wir unsere Kraft für das einsetzen, wasder Liebe und dem Leben dient.
Um mich mit meinem inneren Kind zu verbinden, höre ich oftdie Musik von damals. Ich lasse sie klingen – mitten hinein in meine Gegenwart.Und ich erinnere mich daran, wie ich gemeint war –und wie ich immer noch bin.
Und etwas geschieht: Ich integriere das Kind in mir in meinjetziges Schaffen. Aus der Ohnmacht von damals wird Handlung. Aus dem Fragmentein Ganzes. Aus dem Damals ein Jetzt.
Ich habe mich entschieden, den Schmerz nicht längerkleinzureden oder zu übergehen. Stattdessen höre ich ihm zu und lerne von ihm. Ichnehme ihn mit – nicht als Last, sondern als Rohstoff. Und ich forme daraus das,was ich heute tue: Ich baue Strukturen, die nicht kalt sind, sonderndurchlässig. Ich entwickle Systeme, in denen Menschen nicht verschwinden –sondern sichtbar werden dürfen mit ihrer Einzigartigkeit. Ich denke quer. Ichdenke neu. Ich denke weich, wo früher nur harte Linien erlaubt waren.
Denn nicht alles, was lange so war, muss so bleiben. Nichtjede Regel dient dem Leben. Und nicht jede Ordnung ist gerecht.
Ich gestalte und ichwirke. Nicht, weil ich es weiss, sondern weil ich neue Wege finden möchte – weilich tief in mir spüre, dass die alten Wege oft nicht der Würde des Menschendienen und es mir am Herzen liegt, dass Würde der Menschen insbesondere auchdie Würde der Kinder wieder Platz findet in unserem Bewusstsein.
Früher als ich noch nicht eine neue Welt geschaffen habe undnoch nicht wusste, dass es wirklich geht – war es richtig, alles hinter mir zulassen. Zu verdrängen und und doch nicht zu vergessen. Ein neues Leben zuerschaffen aus dem Negativen etwas Postitives entwickeln zu lasse. Ein Raum, indem ich atmen konnte, bevor ich zurückschaute. Denn es braucht Mut und Kraft, sichder Vergangenheit zu stellen. Es braucht Mut nach Misshandlung wieder Nähezuzulassen. Aber es braucht genauso Mut, erst einmal nicht hinzuschauen – wenndas Hinschauen einen sonst wieder verschlingen würde.
Manchmal ist Flucht Überleben. Und manchmal ist es klug, dieBüchse der Pandora erst zu öffnen, wenn man bereit ist und getragen von einensupportiven Umfeld, um sich den Schatten der Vergangenheit zu stellen und dasLicht darin zu finden. Wenn man genug Ressourcen hat, um den Gefühlen, die imDunkeln darauf gewartet haben, dass sie endlich angenommen werden, Raum zugeben und sie zu verwandeln. Es sind wie Gewitterwolken, die sich entladenwollen und den Boden mit Wasser tränken, damit Neues, das am Wachsen ist, genährtwerden kann.
Heute bin ich bereit. Nicht, weil es leicht geworden ist – sondernweil ich jetzt weiß, dass ich die Kraft habe, die dunkle Energie von damals inLiebe und Gestaltung zu wandeln. Heute bin ich nicht mehr auf der Flucht. Ichbin auch nicht mehr in der Erstarrung. Ich bin in der Bewegung – der bewussten,wählenden, liebenden Bewegung. Ich gehe zurück, aber nicht, um zu leiden. Ichgehe zurück, weil dort etwas liegt, das mir gehört – und das ich jetzt zu mirnach Hause zurückholen kann, um es zu verwandeln. Ich schaue auf das, was war, aberich verliere mich nicht darin. Ich nehme, was mir einst gefehlt hat, undschenke meinem inneren Kind heute, was es damals gebraucht hätte. Ich bauenicht mehr gegen das Leben – sondern mit ihm. Ich höre dem Kind in mir zu undlasse es mitspielen bei meinen Projekten und Ideen, die heute die Welt einbisschen heller machen dürfen. Ich bin nicht perfekt, aber ich bin ganz. Undich bin endlich bei mir Selbst angekommen – und im gleichen Atemzug auch imLeben.